Donnerstag, 9. September 2010

Clarice Lispector: "Liebe" - Teil II

Im Grunde hatte es Ana immer gebraucht, die starke Wurzel der Dinge zu spüren. Und das hatte ihr ein Hausfrauenleben verlegener Weise gegeben. Auf Umwegen kam sie dazu, in ein weibliches Schicksal zu stolpern, überrascht, hinein zu passen, als hätte sie es selbst erfunden. Der Mann, den sie geheiratet hatte, war ein echter Mann, die Kinder, die sie bekommen hatte, waren echte Kinder. Ihre vorherige Jugend kam ihr seltsam vor, wie eine Krankheit von Leben. Aus ihr war sie allmählich aufgetaucht um zu entdecken, dass man auch ohne das Glücklichsein leben konnte: indem sie es abschaffte, hatte sie eine Legion von vormals unsichtbaren Menschen getroffen, die lebten als würden sie arbeiten - mit Bestand, Kontinuität, Freude. Was Ana widerfahren war, bevor sie Hausfrau wurde, war immer außerhalb ihrer Reichweite: eine verstörte Überhöhung die man manchmal mit unerträglichem Glücklichsein verwechselte. Sie hatte dafür etwas endlich Verständliches geschaffen, ein Erwachsenenleben. So hatte sie es gewollt und gewählt.

Ihre Vorsicht reduzierte sich darauf, an den gefährlichen Nachmittagen auf der Hut zu sein, wenn das Haus leer war und sie nicht mehr brauchte, die Sonne hoch, jedes Familienmitglied auf seine Funktionen verteilt. Während sie die sauberen Möbel betrachtete, zog sich ihr Herz erschrocken etwas zusammen. Aber in ihrem Leben war kein Platz dafür, Zärtlichkeit für ihren Schrecken zu fühlen - sie erstickte ihn mit demselben Geschick, die die Hausarbeit ihr übermittelt hatte. Sie ging also aus um einzukaufen oder Gegenstände zur Reparatur zu bringen, kümmerte sich um den Haushalt und die Familie ohne deren Wissen. Wenn sie zurück kam, war es spätnachmittags und die Kinder, die aus der Schule kamen, verlangten ihre Aufmerksamkeit. So kam die Nacht, mit ihrem stillen Vibrieren. Morgens erwachte sie, durch ihre ruhigen Pflichten mit einem Heiligenschein gekrönt. Sie fand die Möbel wieder staubig und schmutzig vor, so als täte es ihnen leid. Was sie selbst anbetraf, so gehörte sie heimlich zu den schwarzen und weichen Wurzeln der Welt. Und fütterte anonym das Leben. So hatte sie es gewollt und gewählt.

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